Medien-Echo

Radio 1, 29. Februar 2020

Das Interview

Redaktion: Herr Hausammann-Gilardi, Sie haben als Schauspieler begonnen und sind heute in fast allen Bereichen der visuellen und sprechenden Künste als Autor und Regisseur unterwegs. Sie erschaffen Theaterstücke, machen Filme, arbeiten aber auch in der Kommunikation, als Coach und unterrichten Schauspiel. Habe ich etwas vergessen?

Hausammann-Gilardi: Ich glaube, die Aufzählung ist ziemlich vollständig. Am Ende geht es aber immer um dieselben Essenzen. Eine Geschichte wird durch und mit Menschen erzählt. Dabei suche ich den Kern eines Stoffes und setze diesen wahrhaftig in Szene. Dadurch versuche ich das Publikum zu berühren und zu bewegen. Je nach Thema und Stoff wähle ich die dafür geeignete Form.

Redaktion: Sie haben auch ein Zentrum für die Weiterentwicklung des Schauspiels gegründet, das angehenden genauso wie professionellen Schauspieler*innen ein vielfältiges Aus- und Weiterbildungsangebot bietet. Zu diesem Angebot gehört auch das theater frischfleisch.

Hausammann-Gilardi: Schauspielen ist etwas, was viel Erfahrung braucht, bis man darin gefestigt und entsprechend überzeugend auftreten kann. Alle Aus- und Weiterbildungsangebote am ZES Zentrum für Entwicklung im Schauspiel sind stark praxisorientiert. Mit dem theater frischfleisch besteht zusätzlich die Möglichkeit, eine schauspielerische Erfahrung von A bis Z zu machen und dies bedeutet auch, dies vor einem Publikum zu zeigen. Die Tournee gibt dem ganzen noch mehr Dynamik.

Redaktion: Das theater frischfleisch hat bereits vier Produktionen auf die Bühne gebracht. Davon sind Sie bei dreien, wie auch bei der aktuellen nicht nur der Regisseur, sondern auch der Autor? Wie kam es dazu?

Hausammann-Gilardi: Schreiben ist nach der Regie meine zweite Leidenschaft. Ich habe schon viele Jahre Drehbücher für Film und Fernsehen entwickelt, als ich begonnen habe, auch Theaterstücke zu schreiben. So habe ich schon vor «Bananen, vorne links», «Salome3», «Das Lysistrata-Protokoll» und nun «H. wie Hamlet – Sein. Schein. Design.» für das theater frischfleisch auch andere Stücke für andere Theaterensembles geschrieben. Ich inszeniere aber auch sehr gerne Stoffe von anderen Autor*innen und ich möchte nicht ausschliessen, dass die nächste Produktion wieder eine solche sein wird.

Redaktion: Wie kommen Sie zu den Stoffen der Stücke?

Hausammann-Gilardi: Ich lebe mit offenen Augen und Ohren. Die Stoffe finden mich mehr als dass ich sie suche. In der Regel gärt eine Idee längere Zeit in mir, bis sich diese manifestiert und mich nicht mehr loslässt. Es ist eine Idee, die sich im Kopf festsetzt und dann als Bauchgefühl zu mir spricht. Mit «H. wie Hamlet – Sein. Schein. Design.» bin ich über dreissig Jahre schwanger gegangen, bis der richtige Moment gekommen ist und nun ist es soweit. In den meisten Fällen dauert es glücklicherweise eine kürzere Zeit. 

Redaktion: Salomé, Lysistrata, Hamlet. Was fasziniert Sie an den klassischen Stoffen?

Hausammann-Gilardi: Die Klassiker sind zu solchen geworden, weil sie ihre Zeit überdauert haben und dies deshalb, weil sie uns Geschichten erzählen, die für die Ewigkeit sind. So erzählen sie zu jeder Zeit eine neue Geschichte, welche mit der Gegenwart zu tun hat, in der die neuen Macher*innen leben. Mit «Salome3» habe ich die Spass- und Konsumgesellschaft beleuchtet. Bei «Das Lysistrata-Protokoll» war sicher der Krieg in Syrien ein Grund sich mit dem Thema «Frieden» auseinanderzusetzen. Und mit «H. wie Hamlet – Sein. Schein. Design.» greife ich den Verlust von Echtheit auf. Was ist heute noch echt? Woran kann ich glauben? Mit «Bananen, vorne links», welches nicht auf einem klassischen Stoff beruht, habe ich ein Sozial-Experiment zum Thema Solidarität geschaffen.

Redaktion: Zum aktuellen Stück «H. wie Hamlet – Sein. Schein. Design.». Worum geht’s in diesem Stück genau?

Hausammann-Gilardi: Hamlet ist in einer existenziellen Krise, denn er ist Sohn eines Vaters, der gestorben ist, Sohn einer Mutter, die den Bruder seines Vaters geheiratet hat, nachdem dieser seinen Vater umgebracht hat und schlussendlich Sohn eines Vaters, dessen Sohn er nicht ist, denn dieser bleibt sein Onkel, ist jedoch nun der Gatte seiner Mutter und der neue König. Die berühmte Zeile «Sein oder nicht sein…» drängt sich entsprechend auf, geht aber viel weiter. Wer bin ich? Was bin ich? Was bedeutet «ich» in dieser Situation? Was ist mein «ich» wert und was will ich damit anstellen. Oder bin ich gar nicht mehr selbstbestimmt, sondern nur noch fremdgesteuert und manipuliert. Hamlet entscheidet, das Ruder selbst in die Hand zu nehmen und die Tragödie nimmt ihren Lauf. Mit meinen vielen Bezügen zur heutigen Zeit versuche ich jedoch, sowohl kritisch als auch humorvoll die vielen Themen aufzugreifen und in einen modernen Kontext zu setzen. In meinem Hamlet darf auch gelacht werden, auch wenn einem das Lachen vielleicht manchmal im Halse stecken bleibt.

Redaktion: Die Sprache in Ihrem «Hamlet» ist eine eigenwillige Mischung aus Shakespearesprache, heutiger Umgangssprache und auch Jugendsprache. Was ist die Idee dahinter?

Hausammann-Gilardi: Mein Ziel war, eine Sprache zu finden, die vom Publikum ohne Anstrengung verstanden werden kann, damit die Inhalte ankommen. Trotzdem wollte ich dem Charakter der klassischen Ausdrucksweise so nah wie möglich bleiben.

Redaktion: In Ihrem Stück gibt es keine klar definierten Rollen, sondern eher Figuren. Jeder ist jeder? Austauschbar? Weshalb?

Hausammann-Gilardi: Es geht noch weiter, jede*r ist jede*r. Das Gendersternchen ist ganz ernst gemeint. Auch hier beziehe ich mich auf den Zeitgeist. Das Genderthema ist zwar nicht expliziter Bestandteil des Stücks, aber implizit immer vorhanden. Heute kann jede*r alles sein. Wie sich jemand darstellt im wahren Leben und der virtuellen Welt hat häufig nur sehr marginal damit zu tun, wer dieser Mensch wirklich ist. Der Schein, der von einem Menschen hergestellt wird, ist heute vielen schon wichtiger als die Person, die sie wirklich ist. Digital lässt sich alles manipulieren und schliesslich werden Menschen zu einem Design-Produkt, durch welches sich wieder Waren verkaufen lassen. Sein, Schein und Design sind der Kern von «H. wie Hamlet».

Redaktion: Das ist für die Schauspieler*innen eine grosse Herausforderung. Die meisten Ensemblemitglieder stehen ja noch am Anfang ihrer Schauspiellaufbahn und sind Lernende?

Hausammann-Gilardi: Es sind Herausforderungen, an denen man wächst. Sich einer Aufgabe zu stellen, auch wenn sie komplex, kompliziert und damit sehr anspruchsvoll ist, gehört zum Schauspielberuf wie die Butter auf das Brot. Wenn man künstlerisch tätig ist, so strebt man zwar nach Exzellenz, doch gehört das Risiko des Scheiterns immer dazu. Nur so gelingt etwas Neues.

Redaktion: Wie schätzen Sie den Stellenwert vom Theater in der heutigen Gesellschaft und der medialen Kulturlandschaft ein? Was zeichnet das Theater für Sie auch heute noch aus? Sind junge Menschen noch oder wieder über das Theater erreichbar?

Hausammann-Gilardi: Theater ist wirkliches Erleben im Hier und Jetzt. Ich bin überzeugt, dass dies viele Menschen immer mehr anspricht, je dominanter die virtuelle Welt wird. Ich schätze die Möglichkeiten des Internets über alles, aber das Bedürfnis, mit anderen Menschen gemeinsam etwas räumlich und zeitlich zu teilen und diese gemeinsame Erfahrung zum persönlichen Erlebnis machen zu können, das wird virtuell in dieser Form wohl nie möglich sein. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich für das Theater.

Redaktion: Was braucht eine Aufführung, um neben der schauspielerischen Leistung für das heutige Publikum attraktiv zu sein?

Hausammann-Gilardi: Das war wohl zu allen Zeiten so, Theater darf nicht langweilen. Anregende Unterhaltung, ein Wechselbad der Gefühle, eine rasante Erzählweise, das Ensemblespiel, das sind die Zutaten dieser Inszenierung.